Eine Kastration ist endgültig! Informieren Sie sich deshalb genau, welche Vor- und Nachteile dieser Schritt birgt.
Wenige Hundethemen werden im Netz so emotional und kontrovers diskutiert wie die Kastration von Hündinnen.
Viele Hundehalter sind verunsichert. Fast jeder weiß über das Für und Wider der Kastration bestens Bescheid, seien es andere Hundehalter, Hundetrainer, selbstverständlich Tierärzte, aber auch Nachbarn und wildfremde Leute, die man beim Gassi gehen trifft (und die sogar noch nie einen Hund hatten). Vielen dieser Ratgeber fehlt es nicht an gutem Willen aber sehr wohl an Sachkenntnis. Und welche dieser Personen hat schon überprüft, ob Empfehlungen, die jahrzehntelang als richtig galten, heute noch in dieser Form haltbar sind.
Sogar manche Tierärzte klären sehr einseitig und wenig umfassend auf. Deshalb möchte ich die Vor- und Nachteile möglichst objektiv aus der Sicht eines ganzheitlich denkenden und arbeitenden
Tierarztes darstellen und bewerten – soweit dies überhaupt möglich ist.
Gründe für eine Kastration:
Die Hündin wird nicht mehr läufig. Mögliche unangenehme Begleiterscheinungen einer Läufigkeit wie Blutungen und psychische Stimmungsschwankungen aufgrund der veränderten hormonellen Situation bleiben aus. Auch eine Scheinträchtigkeit tritt nicht mehr auf. Ebenso ist eine spätere Entzündung oder Vereiterung der Gebärmutter ausgeschlossen, wenn diese bei der Kastration mit entfernt wurde. Selbst wenn sie belassen wird, ist sie zumindest sehr selten.
Das Hauptargument für eine Kastration ist ein mögliches Verhindern von Brustkrebs. Nach derzeitigem Kenntnisstand gilt, daß das Risiko, später Mammatumoren zu entwickeln, bei einer Kastration vor der zweiten Läufigkeit deutlich geringer ist als bei intakten Hündinnen. Bei einer Kastration vor der ersten Läufigkeit tendiert es gegen Null. Eine Kastration nach der zweiten Läufigkeit allerdings ändert an diesem Risiko nichts mehr, zumindest was die Entstehung bösartiger Mammatumore betrifft. Auch eine Kastration welche gleichzeitig mit dem Entfernen bösartiger Tumore und nach der zweiten Läufigkeit durchgeführt wird, hat auf ein eventuelles neues Auftreten von Mammatumoren oder eine potentielle Metastasenbildung keinen Einfluß.
Gründe gegen eine Kastration:
Eine Amputation (und darum handelt es sich auch bei jeder Kastration) ist nach dem Tierschutzgesetz verboten. Es handelt sich um einen nicht unerheblichen chirurgischen Eingriff unter Vollnarkose mit den entsprechenden Risiken.
Dazu zählen das Narkoserisiko, mögliche Wundheilungstörungen oder intraoperative Blutungen. Alle diese Risiken sind bei sachgemäßer Durchführung zwar selten, aber nie ganz auszuschließen.
Ca.20 % der kastrierten Hündinnen werden inkontinent, Rassen unter 20 kg seltener, größere Rassen teilweise noch häufiger (Boxer zu 30% oder noch mehr). Meistens passiert dies 2-3 Jahre nach der Kastration.
Bei einigen Rassen treten Fellveränderungen auf, die Hunde entwickeln das sogenannte Babyfell. D.h. das Haarklein wird dünner und seidiger.
Kastrierte Hündinnen neigen vermehrt zu Übergewicht mit den entsprechenden Folgen und daraus resultierenden Gesundheitsrisiken.
Dies waren die wesentlichen Gegenargumente bis vor einigen Jahren. Inzwischen sind weitere Nachteile bekannt geworden:
Kastrierte Hündinnen haben ein dreifach erhöhtes Risiko, eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) zu entwickeln – mit den entsprechenden Folgen.
Und so wie das Risiko für Mammatumore sinkt, steigt es für einige andere Tumorarten an. Das Risiko für das Osteosarkom (eine Knochentumor) steigt um den Faktor 2. Das Risiko für Hämangiosarkome (bösartige Milztumore) ist mehrfach erhöht. Das (wenn auch geringe) Risiko an Tumoren des Urogentialtraktes zu erkranken verdoppelt sich.
Kastrierte Hündinnen bekommen 3-4x häufiger bleibende oder ständig wiederkehrende Blasenentzündungen als intakte Hündinnen.
Und es treten bei kastrierten Hündinnen vermehrt orthopädische Probleme auf, z.B. Kreuzbandrisse und -besonders bei frühzeitiger Kastration- ist die Entwicklung einer Hüftgelenksdysplasie
häufiger.
Was steckt nun hinter diesen Zahlen?
Erst einmal ist offensichtlich, daß in den letzten Jahren viele Erkenntnisse hinzugekommen sind, die ein Umdenken weg von einer „automatischen“ zu empfehlenden Kastration“ zwingend einfordern. Die meisten dieser neueren Erkenntnisse werden in den Diskussionen allerdings noch vollkommen außer Acht gelassen. Sie sind entweder nicht bekannt oder sie werden nicht erwähnt, weil dies nicht in das schöne und einfache Meinungsbild passt.
Die meisten Hündinnen werden nicht wegen einer Krankheit kastriert, sondern prophylaktisch, vor allem um die Bildung von Mammatumoren oder um eine Gebärmuttervereiterung zu verhindern.
Gebärmutterentzündungen und Vereiterungen treten im Lauf ihres Lebens bei 20-25 % intakter Hündinnen auf. In einer leichteren aber auch manchmal in lebensbedrohlicher Form. Früher wurden diese Hündinnen fast immer chirurgisch behandelt (d.h. die Gebärmutter wurde operativ entfernt und die Hündin gleichzeitig kastriert.
Heute ist sie in vielen Fällen auch medikamentös therapierbar, allerdings nicht immer. D.h. auch heute kann eine Indikation zur Operation mit Entfernen der Eierstöcke vorliegen. Wissen sollte man allerdings, dass das Todesrisiko für diese Erkrankung bei max. 5 % liegt., d.h. 5 % von max. 25 % erkrankter Tiere – sachgemäße Therapie vorausgesetzt.
Das am meisten für eine Kastration angeführte Argument ist nach wie vor das Verhindern von Brustkrebs. Für dieses Risiko liegen allerdings nach wie vor keine genauen Zahlen vor. Je nach Studie soll es zwischen 2 % und ca. 25 % liegen. Ich würde von ca. 10 % bis max. 20 % ausgehen. Aber auch das ist eine Vermutung. Man weiß aber, daß das Risiko ist auch rasseabhängig und auch individuell unterschiedlich hoch ist. Vor allem Übergewicht im ersten Lebensjahr läßt es deutlich ansteigen.
Fakt ist, daß ca. die Hälfte dieser Mammatumore gutartig sind. Und nicht alle bösartigen Mammatumore metastasieren oder rezidivieren nach erfolgreicher Behandlung bzw. Operation (einige allerdings tun dies). Besonders eine Frühkastration vor der ersten Läufigkeit senkt allerdings dieses Risiko wirklich gegen Null ab. Gleichzeitig wird allerdings auch die körperliche und geistige Entwicklung massiv beeinträchtigt. Es werden schließlich Kinder vor dem Eintritt der Pubertät kastriert. Dazu kommen die oben genannten Nachteile.
Auch bei einer Katration vor der zweiten Läufigkeit sind die Tiere der meisten Rassen noch nicht vollkommen entwickelt – körperlich und psychisch. D.h. auch hier wird eine weitere Entwicklung beeinträchtigt. Beachten sie bitte besonders, daß dem selteneren Auftreten von Mammatumoren ein größeres Risiko für mehrere andere, z.T. noch bösartiger Tumorarten entgegensteht.
Fazit:
Mit dem heutigen Wissen ist es eigentlich nicht mehr vertretbar, aus rein prophylaktischen Gründen zu einer Kastration zu raten – wenn man das Tierschutzgesetz ernst nimmt, sowie so nicht.
Ebenso ist das Verhindern einer unabsichtlichen Trächtigkeit kein akzeptabler Grund. Wenn allerdings ernsthafte Gründe vorliegen wie eine ständig wiederkehrende Gebärmutterentzündung,
eine lebensbedrohliche Gebärmuttervereiterung oder z. B. eine anhaltende massive Beeinträchtigung der Hündin durch Scheinträchtigkeiten nach jeder Läufigkeit, ist es sehr wohl legitim, eine Kastration in Erwägung zu ziehen.
Hier sollten die Vor- und Nachteile und alle eventuellen Risiken für jeden einzelnen Fall gründlich gegeneinander abgewogen werden. Und wenn die Vorteile wirklich überwiegen, dann ist auch mit dem heutigen Wissensstand eine Kastration sinnvoll. Aber eigentlich auch nur dann.