Noch vor ca. 15 Jahren stellte sich diese Frage gar nicht. Nahezu alle Hunde trugen Halsbänder.
Geschirre sah man fast ausschließlich bei Schlittenhunden.
Heute sind Geschirre an der Tagesordnung und fast so verbreitet wie Halsbänder. Aber nur fast.
Eine reine Modeerscheinung oder steckt ein tieferer Sinn dahinter? Was sind die Vor- und Nachteile?
Beide dienen dazu, eine Leine daran zu befestigen und über diese den Hund zu kontrollieren.
Diesen Zweck erfüllen beide ähnlich gut. Ähnlich gut allerdings nur so lange, wie weder vom Hund noch vom Halter in irgend einer Form Kraft auf die Leine ausgeübt wird.
Dann allerdings sind die Unterschiede gravierend.
Diese Kraft wirkt entweder als Zug von Seiten des Besitzers oder als Zug vom Hund selbst.
Außerdem bei jedem Ruck an der Leine, ebenso wie beim plötzlichen Vorprellen des Hundes oder Flucht nach hinten.
Um es vorweg zu nehmen: Diese Kraft verteilt sich bei einem gut sitzenden Geschirr auf eine wesentlich
größere Fläche, s.u.
Beim Halsband wirkt diese Kraft nur auf eine sehr kleine Fläche am Hals unseres Hundes ein.
Je schmäler das Halsband, desto kleiner die Fläche und desto größer die Auswirkung der Kraft auf diese Fläche, d.h. konkret auf den Hals unseres Hundes.
Nun besteht dieser Hals selbst bei Bulldoggen und Rottweilern nicht nur aus Muskeln und Fascien. Sondern am und im Hals liegen eine Vielzahl von lebenswichtigen und empfindlichen Strukturen. So die Luftröhre, die Speiseröhre, der Kehlkopf, die Schilddrüse , die Halsschlagader, Nerven und weitere Blutgefäße.
Daß viele Hunde röcheln, wenn sie an der Leine ziehen, haben wir alle schon oft gesehen.
Und das dies nicht gesund ist, war für jeden von uns klar.
Aber bereits bei geringem Zug, egal von welcher Seite der Leine, kommt es zu einer Reizung bis hin zu einer Einschnürung (bei starkem Zug) der unter dem Halsband liegenden Gewebsstrukturen. Die möglichen (und wahrscheinlichen) Folgen sind ein Verlust der Elastizität der Luftröhre bis hin zu einem möglichen Kollabieren derselben. Ein Einengen oder gar Abschnüren der Halsschlagader führt zu einem Rückstau des Blutes im Kopf, was wohl auch bei unseren vierbeinigen Lieblingen Kopfschmerzen zur Folge hat. Auch wenn sie nicht nach einer Kopfschmerztablette fragen.
Auch Schluckbeschwerden und Kehlkopfentzündungen können auftreten. Durch eine städnige Reizung der Schilddrüse kann zu deren Entzündung und führen, welche als Ursache für die Entstehung einer Unterfunktion angesehen wird.
Und auch die Muskeln und besonders die bisher stark unterschätzten Faszien (dies ist eben nicht nur Bindegewebe) werden auf die Dauer in ihrer Funktion beeinträchtigt. Z.B. kann die Schilddrüse über diese auch ohne direkte Berührung gereizt und geschädigt werden. Man hat festgestellt, daß bei Hunden, die am Halsband ziehen, häufiger der Augeninnendruck ansteigt, ebenso leiden sie häufiger an grauem Star.
Wie jeder Physiotherapeut oder Osteopath weiß, werden auch weiter entfernt liegende Organe über sogenannte Läsionsketten über Muskulatur und Fascien beeinflusst (und evtl. gestört).
Ein stark unterschätzter Faktor ist, daß ein Halsband mit anhängender Leine auch das Sozialverhalten unserer Hunde beeinträchtigt. Der Haltung des Kopfes kommt zum Beispiel beim Aufeinandertreffen mit fremden Artgenossen eine ganz wichtige Signalwirkung zu. Womöglich ist dies mit ein Grund dafür, daß Begegnungen mit Artgenossen bei freilaufenden Hunden sehr viel friedlicher ablaufen als an der Leine.
Und wie ist das beim Geschirr?
Hier verteilt sich die Kraft viel gleichmäßiger auf eine wesentlich größere Fläche.
Und vor allem sind die betroffenen Regionen nicht ganz so empfindlich wie der Hundehals.
Selbstverständlich ist es auch beim Geschirr wichtig, daß dieses möglichst optimal sitzt.
Und nirgends scheuert.
In der Regel sind etwas breitere Geschirre besser als zu schmale. Allerdings ist darauf zu achten,
daß eine natürliche Bewegung des Körpers nicht eingeengt wird. Besonders wichtig ist dies im Bereich des Schulterblattes.
Früher war es sicher schwieriger, für jeden Hund ein gut passendes Geschirr zu finden.
Inzwischen sollte dies allerdings kein Problem mehr sein.
Aber nochmals: Ein Geschirr sollte optimal passen und nicht primär als Möglichkeit dienen, es mit coolen Sprüchen zu bekleben.
Genauer Angaben finden Sie demnächst hier oder in einem gesonderten Blogartikel.
Fazit:
Ein gutes Geschirr ist fast immer die bessere Wahl. Wahrscheinlich würden noch viel mehr Hundehalter auf das Halsband verzichten, wenn Ihnen die möglichen Gefahren bewußt wären.
Welcher Hundehalter (und wie viele Tierärzte) denkt schon daran, bei Schluckbeschwerden oder einer Halsentzündung die Ursache im Halsband zu suchen.
Aber auch ein Geschirr sollte und nicht dazu verleiten, an der Leine zu rucken oder uns von unserem Hund durch die Gegend ziehen zu lassen.
Wenn wir nur einen geringen Teil an Gedanken für die Auswahl eines Halsbandes oder besser eines Geschirrs für unseren Liebling investieren wie für die Auswahl unseres Autos aufwenden, wie viel unnötiges Leid können wir denen ersparen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies irgendeinem Hundeliebhaber gleichgültig ist. Und schon gar keinem Leser dieses Blogs. Aber leider ist dies noch viel zu wenigen Hundefreunden bewußt.
Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Artikel dazu beiträt, dies ein wenig zu ändern.
Sehr geehrter Herr Dr. Fischer,
ich finde Ihren Blogg super.
Es bringt wenig aber ich schreibe trotzdem was ich über die Halsbänder denke.
Wenn ich sehe, wie manche Menschen ihre Hunde am Halsband zerren könnte ich weinen. Es ist für mich immer schon klar, dass dies schlimm ist.
Man stelle sich vor, ein Mensch hätte ein Halsband um und wird immer daran ruckartig zurückgezogen und gezerrt. Unfassbar.
Wenn man sich ein so tolles Lebewesen wie einen Hund zulegt, sollte man sich auch vorher über alles informieren.
Es gibt ja Studien, welche zeigen, dass viele Hunde wegen den Halsbändern an der Halswirbelsäulen Schäden haben.
Ok, ich bin kein Tierarzt aber ich danke Ihnen dafür, dass Sie ein super Tierarzt und Tierfreund sind.
Ihre
Silke Hosseus